Veröffentlicht von Stephan Heibel am 12.03.2008 um 11:17 Uhr

Börsenanalyse - Bernankes wahre Ziele

Hallo Herr Heibel, meine Thornburg-Aktien hab‘ ich heute mittag verkauft – 1,15 Euro das Stück – immerhin besser als Null. Abgehakt. Shit happens. Und Sie sollten sich auch keine grauen Haare drüber wachsen lassen. Was mich in diesem Zusammenhang interessieren würde: Sind den Gläubiger-Banken wirklich die Nerven durchgegangen (das wär‘ ein verdammt schlechtes Zeichen!), war es eine Vendetta oder die gezielte Beseitigung eines Konkurrenten, um sich an dessen Leiche gütlich zu tun? Letzteres erschiene mir plausibel.   Irgendwas kann bei Aktien immer mal daneben gehen. Nach meinem Verständnis sind Aktien keine Geld-ANLAGEN, sondern immer Wetten. Es gibt riskante und weniger riskante Wetten, wobei eine Risikoarme plötzlich in eine Riskante umschlagen kann, weil man als Anleger ja nie über alle Informationen verfügt (s. IKB). Dafür erhält man im Schnitt und mittelfristig eine höhere Rendite als bei – sagen wir – Obligationen von Gebietskörperschaften. Viel wesentlicher ist, dass Sie in Ihrer Markteinschätzung insgesamt richtig liegen: Wann einkaufen und was? Hier daneben zu liegen, produziert richtige Katastrophen. Sind Sie sich immer noch sicher, dass das intelligente Geld auf der Käuferseite ist und nur Dussel verkaufen? Womit ich bei der Frage bin, was oder wer die Märkte bewegt. Dass Bush und Bernanke nicht besonders effektiv kooperieren, kann ich schon verstehen. Ihre Agendas sind fundamental unterschiedlich. Bush’s Agenda reicht bis zum 20. Jan. 2009 (wenn überhaupt so weit). Dann verzupft er sich auf seine Ranch in Texas und umgibt sich mit Rindviechern. Gleich und gleich gesellt sich immer gern. Bis dahin könnte seine Agenda wie folgt aussehen: a. Lorbeerkränzchen (oder was davon noch über ist) zusammenflicken b. Die Risse im Gedenkstein G.W. kitten Solche Ziele gehen Bernanke sonstwo vorbei. Und seine Agenda endet auch nicht mit dem 10. Jan. Dann beginnt für ihn ein neues Kapitel. Und sein derzeitiges Ziel könnte sein, der nächsten Administration – egal, ob republikanisch oder demokratisch, ob Frau oder Schwarzer, mit der er ja zusammenarbeiten muss, zum Einstand ein funktionierendes Finanzsystem mit starken Spielern zu präsentieren, mit dem sich ein konjunktureller Neustart stemmen lässt. Greenspan war ein Freund sybillinischer Sprüche, Bernanke redet Klartext, dafür aber Stuss. Am Ende kommt’s auf’s Gleiche raus. Aber aus seinen Aktionen ergibt sich ein gewisses Muster. Er lässt den Dingen ihren Lauf, bis die Kacke am Dampfen ist. Und wenn die Not am höchsten ist, dann erst greift er ein. Irgendwie ergibt das schon Sinn. Oder wie würden Sie vorgehen, wenn Sie unter einer Gruppe Legionäre die Leute herausfischen wollten, die Durst gut ertragen und dabei noch leistungsfähig sind. Ein Fragebogen fördert nur Unsinn zu Tage. Die Praxis schafft klare Verhältnisse. Also brechen Sie mit Ihrer Crew zu einer Wanderung durch die Wüste auf. Wie gehen Sie mit dem Wasser um? Immer reichlich verteilen? Dann kommen alle mit und es kommt zu keiner Selektion. Gar kein Wasser? Dann sind am Ende alle verdurstet. Das ist auch nicht Sinn des Unternehmens. Vielleicht ab und zu ein bisschen Wasser? Eine Art „Intervall-Training“. Ungefähr so was praktiziert Bernanke. Er wartet zu, bis etliche ermattet am Wegesrand liegen bleiben und von Samaritern (Konkursverwaltern) aufgesammelt werden. Und wenn dem Rest der Truppe dann auch schon die Zunge bis zum Boden hängt, greift der gute Onkel Ben in seinen Rucksack und lässt die Pulle kreisen. Jeder (von den noch Lebenden) kriegt ein Schlückchen ab. Und dann beginnt das Spiel von neuem. Nach ein paar solchen Intervallen bleiben nur noch die starken Tiere übrig. Er kann diese Strategie vielleicht nicht lupenrein durchziehen. Ein Legionär ist Spross einer einflussreichen Familie. Den kann er nicht einfach verdursten lassen. Und irgendwann mault der Kongress über die Grausamkeit des Verfahrens. Dann muss Bernanke sich für einige Zeit ein bisschen zurücknehmen – ab und zu ein Tröpfchen Wasser für alle. Aber ungeachtet dessen – über’n dicken Daumen weg ist das möglicherweise seine Strategie. Mit freundlichen Grüßen, Edgar aus Erbendorf ANTWORT: Herzlichen Dank für Ihre frische und unterhaltsame Beschreibung Bernankes. Ja, das kann durchaus so zutreffen. Vielleicht sieht Bernanke sogar in der weltweiten Konjunkturstärke eine Chance, gerade jetzt die Luft aus dem US-Finanzsystem herauszulassen. Viele Legionäre (international agierende Unternehmen) holen sich einen Schluck aus der Pulle von der Nachbarlegion (China, Indien, ...). Wie auch immer, es ist meiner Ansicht nach ratsam, vorsichtig durch die nächsten Wochen zu schreiten. Ich werde im Laufe der nächsten Tage weiter dazu aufrufen, einzelne Positionen zu lichten, etwas zu verkaufen. {weiter[40|9]}

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Stephan Heibel

Seit 1998 verfolge ich mit Begeisterung die US- und europäischen Aktienmärkte. Ich schreibe nun wöchentlich für mehr als 25.000 Leser über die Hintergründe des Aktienmarktes und die Ursachen von Kursbewegungen. Meine Leser schätzen meinen neutralen, simplen und unterhaltsamen Stil. Als Privatanleger nutzen sie meine Einschätzungen und Anlageideen, um ihr Portfolio unabhängig zu optimieren.

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