Ich gehe ausführlich auf die zu erwartenden Änderungen durch die neue Geldpolitik in den USA ein. "Zinswende" lautet der Begriff, der in den kommenden Monaten, vielleicht Quartalen, Bestandteil der Diskussionen sein wird. Haben wir die Zinswende bereits vollzogen? Und wenn ja, welche Aktien sollte man meiden, welche kann man besitzen? Eines steht fest: Im Umfeld steigender Zinsen müssen wir deutlich selektiver bei der Aktienauswahl sein.
Die USA gehen nun mit großen Schritten auf eine Normalisierung der Geldpolitik zu. Zinserhöhungen für das kommende Jahr gelten als sicher und entsprechend bereiten sich Anleger darauf vor. Wir kommen also in eine Phase der Zinsanhebungen, auch wenn dies im Euroland von der EZB noch ignoriert wird. Auch europäische Anleger werden sich bereits jetzt auf diese Marktphase vorbereiten, beziehungsweise sind bereits dabei.
Steigende Zinsen versetzen viele Anleger in Angst und Schrecken. Insbesondere junge Anleger, die in besonders volatile Aktien spekulierten, haben schwache Nerven und werden in ihrer Angst auch sehr schnell bestätigt. Denn je höher das Bewertungsniveau von Aktien, desto volatiler die Aktie. Und gerade Aktien mit hohem Bewertungsniveau leiden in der ersten Phase der Zinsanhebungen.
Ich habe den Effekt bereits mehrfach hier im Heibel-Ticker beschrieben: Die Bewertung von Wachstumsunternehmen beruht zu einem sehr großen Teil auf den Einnahmen, die in der fernen Zukunft erwirtschaftet werden. Die in der Zukunft erwarteten Einnahmen werden für die Wertberechnung auf den heutigen Zeitpunkt "abdiskontiert". Je höher das Zinsniveau, desto größer der Effekt der Abdiskontierung. In einem Nullzinsumfeld sind Einnahmen des Jahres 2030 mehr wert als im Umfeld einer Inflationsrate von 5%. Die Kaufkraft der zukünftigen Einnahmen sinkt.
Daher werden alle Aktien, deren Bewertung zu einem Großteil auf zukünftigen Einnahmen beruhen, derzeit ausverkauft. Kurs/Umsatz-Verhältnisse von 5, 10 oder gar 50 werden nicht mehr toleriert. Anleger schauen nur noch auf die Kurs/Gewinn-Verhältnisse (KGV), die möglichst in einem guten Verhältnis zur Wachstumsgeschwindigkeit stehen sollten. Die Highflyer der Corona-Zeit haben es daher nun schwer, auch wenn Omikron nochmals stärkere Kontaktbeschränkungen erfordern sollte.
Daraus dürfen wir jedoch nicht ableiten, dass die Konjunktur einbricht. Die Wirtschaft besteht nicht nur aus Startups und SPACs. Unternehmen mit niedrigem KGV und stabilem Geschäft werden profitieren. Insbesondere diejenigen Unternehmen, die den Preis für ihr Produkt der Inflation anpassen können, werden keine Probleme haben. Daher wenden sich Anleger nunmehr diesen Unternehmen zu.
Irgendwann wird das Zinsniveau so hoch sein, dass nicht mehr die stimulierende Wirkung aufgehoben, sondern die Wirtschaft sogar gebremst wird. Das könnte so ungefähr ab einem Leitzins von 2% oder 2,5% der Fall sein, vielleicht aber auch erst bei 3%. Wenn dieses Zinsniveau absehbar ist, also vermutlich 6-9 Monate zuvor, werden Anleger auch konjunktursensitive Aktien verkaufen. Es könnte meiner Einschätzung nach noch bis 2023 dauern, bis diese Befürchtung einzieht. Aber das Timing ist schwer, ich werde diese Frage im kommenden Jahr immer wieder neu bewerten.
Zum einem Crash wird es aber auch dann noch nicht kommen. Es gibt lediglich immer weniger Aktien, die in der jeweiligen Konjunkturphase profitieren. Ein Aktienmarktcrash ist erst dann zu befürchten, wenn die Notenbank das Zinsniveau zu schnell nach oben schraubt, oder aber das Zinsniveau zu hoch ist. Das ist jederzeit möglich. Zuletzt hat Jay Powell im Jahr 2018 allein mit der Ankündigung von regelmäßigen Zinsanhebungen für einen Crash gesorgt. Er musste diese Absicht schnell wieder revidieren. Heute hat er keine dogmatischen Zinsschritte angekündigt, sondern versprochen, jederzeit eine neue Lagebeurteilung vorzunehmen. Ich habe daher wenig Angst vor zu schnellen oder zu weit führenden Zinsanhebungen, solange Jay Powell Notenbankchef ist.
Wir müssen uns also von den Highflyern, die in den vergangenen Monaten so viel Freude bereitet haben, verabschieden. Ehrlich gesagt: Das haben wir längst getan. Marvell, Linde, Beyond Meat, Twitter und Nvidia haben wir schon längst verkauft. Auch Paypal hatten wir verkauft, doch im Oktober haben wir die Aktie zu früh zurückgekauft. Zu früh, denn es folgte die Anpassung des Bewertungsniveaus für Paypal, unsere Position ist mit 21% im Minus.
Ich habe alle unsere Positionen den beiden wichtigen Fragen unterzogen: Ist das Bewertungsniveau zu hoch? Und besitzt das Unternehmen die Möglichkeit, inflationäre Tendenzen durch Preissteigerungen an die Kunden weiterzugeben?
Die bewerteten Positionen sind: Südzucker-Anleihe, Deutsche Post, Münchener Rück, BASF, Medios, BioNTech, Flatex, Spotify, Wheaton Precious Metals, Skyworks Solutions und Airbus.
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Seit 1998 verfolge ich mit Begeisterung die US- und europäischen Aktienmärkte. Ich schreibe nun wöchentlich für mehr als 25.000 Leser über die Hintergründe des Aktienmarktes und die Ursachen von Kursbewegungen. Meine Leser schätzen meinen neutralen, simplen und unterhaltsamen Stil. Als Privatanleger nutzen sie meine Einschätzungen und Anlageideen, um ihr Portfolio unabhängig zu optimieren.
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