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Veröffentlicht von Stephan Heibel am 29.03.2022 um 08:45 Uhr

Angespannte Stimmung im Investoren Sentiment

Die unterschiedlichen Stimmungswerte in Deutschland und den USA lassen sich leicht erklären. Der DAX ist im laufenden Jahr bereits um 10% gefallen, der Dow Jones aktuell nur um 5%. DAX-Unternehmen laufen Gefahr, deutlich höhere Energiekosten tragen zu müssen, vorausgesetzt es gibt genug Strom. In den USA gibt es Öl und Gas im Überfluss.

Die hohe Absicherung der Anleger in Deutschland macht jedoch einen weiteren heftigen Ausverkauf unwahrscheinlich - zumindest aus technischer Sicht (siehe Sentimentanalyse unter https://www.heibel-ticker.de/heibel_tickers/1969#ch03). Natürlich werden die europäischen Aktienmärkte ausverkauft, wenn sich ein Lieferstopp für die Energie aus Russland abzeichnen sollte. Doch da sich Anleger derzeit stark gegen solche Kursverluste abgesichert haben, könnte ein entsprechender Ausverkauf überschaubar bleiben. Frühzeitig würden Anleger ihre Put-Absicherungen dann eindecken und dadurch für eine Nachfrage sorgen, die den Aktienmarkt stabilisieren sollte.

Was auf der Unterseite für ein Auffangnetz wirkt, kann auf der Oberseite wie Zunder wirken. Sollte der DAX aus seiner Seitwärtsbewegung ausbrechen, also über 14.500 Punkte steigen, würden viele Absicherungspositionen ins Minus laufen. Neue Sicherheiten werden erforderlich, Verluste würden auflaufen. Irgendwann würden die Absicherungspositionen dann aufgelöst werden, was nur durch zusätzliche Aktienkäufe erfolgen kann. Die Auflösung der Absicherungspositionen würde dann also zu einer zusätzlichen Nachfrage nach den ohnehin bereits angestiegenen Aktien sorgen, was eine moderate Kursrallye weiter anheizen würde.

So oder so befinden wir uns in einer sehr angespannten Situation. Im Ukrainekrieg müssen wir täglich mit dem Schlimmsten rechnen. Der Aktienmarkt hat sich - zumindest hier in Deutschland - auf das Schlimmste vorbereitet und würde vielleicht heftig, aber nur kurz reagieren und dann schnell aufgefangen werden. Auf der anderen Seite könnte - ich möchte hier nicht von einem Gewöhnungseffekt sprechen, da man sich an einen Krieg nicht gewöhnen kann - ein Ausbleiben einer weiteren Verschlimmerung dazu führen, dass sich die Aktienkurse weiter erholen. Ab einem bestimmten Kursniveau müssten dann die Absicherungspositionen sukzessive aufgelöst werden, was dann wie Zunder für eine Rallye wirkt.

Am Anleihemarkt ist sowohl die Stimmung als auch die Erwartung am Boden. Der Bund Future ist unter 160 gefallen - erstmals seit 2018. Anleger meiden Zinspapiere, obwohl diese gerade in Kriegszeiten doch als sicherer Hafen gelten. Man sagt Anlegern nach, sie seien die intelligenteren Anleger (im Vergleich zu Aktienanlegern). Offensichtlich erwarten Anleiheanleger stark steigende Zinsen, haben ihre Zinspapiere verkauft und sind über die erlittenen Verluste höchst ungehalten.

Aus Sicht der Sentimentanalyse sieht es nach Panik am Anleihemarkt aus. Ein finaler Ausverkauf. Gut möglich, dass wir hier eine ordentliche Gegenbewegung sehen, also einen steigenden Preis für den Bund-Future und somit fallende Zinsen am Anleihemarkt.

Die Seitwärtsbewegung an den Aktienmärkten hat bereits ausgereicht, die Panik an den Aktienmärkten zu beenden. Es kam zu einer starken Gegenbewegung, die meiner Beobachtung zufolge in erster Linie durch Spekulanten getrieben wurde. Nachfolgend gehe ich näher auf die verschiedenen Problembereiche ein, die derzeit das Marktgeschehen bestimmen.

So tickt die Börse: Schlimmste Befürchtungen scheinen eingepreist

Von unseren vier Themen befinden sich Corona und China derzeit in einer Warteposition. China wartet die Entwicklungen im Ukraine-Krieg ab und verhält sich bis auf weiteres neutral / defensiv. Corona zeigt hohe Infektionszahlen, wird in den USA jedoch bereits als überwunden betrachtet. Der dortige Corona-Beauftragte der Gesundheitsbehörde, Scott Gottlieb, hat verkündet, dass Corona im Verlauf dieses Sommers vermutlich vollständig in Vergessenheit geraten könnte. Er sprach vom "Ende der Pandemie".

Im Ukraine-Krieg dämmert es den Anlegern, dass weder ein schneller Sieg Russlands (Blitzkrieg), noch ein baldiges Aufgeben Russlands zu erwarten ist. Man stellt sich langsam auf eine Dauer von Monaten, wenn nicht sogar Jahren ein. Das ist in meinen Augen das Schlimmste, was dem ukrainischen Volk passieren konnte und ich hoffe weiterhin auf einen baldigen Durchbruch bei den Verhandlungen.

Doch am Finanzmarkt rechnet man nicht mit Hoffnung, sondern mit Wahrscheinlichkeiten. Und die sehen derzeit nicht gut aus.

Das vierte Thema, die Inflation, entwickelt sich schlimmer als erwartet. In der Eurozone betrug die Verbraucherpreisinflation statt erwarteten 5,8% nunmehr 5,9%. In Großbritannien sprang sie statt auf 5,9% sogar auf 6,2%. In den USA steht die Inflation sogar bereits bei 7,9%. Nach der ersten Zinsanhebung in den USA wird nun diskutiert, wie viele Zinsanhebungen im laufenden Jahr zu erwarten sind. Dabei gewinnt die Diskussion eine neue Dynamik, da inzwischen auch "große" Schritte für möglich gehalten werden.

Normalerweise wird der Leitzins stets zu den Terminen der Notenbanksitzungen diskutiert und gegebenenfalls um einen viertel Prozentpunkt (0,25%) angepasst. Doch da die Inflation bei steigenden Energiepreisen und nunmehr auf exorbitant hohen Nahrungsmittelpreisen wesentlich schneller ansteigt als von Volkswirten erwartet, hatte Jay Powell vor einigen Tagen selbst eine Anhebung um 0,5% nicht ausgeschlossen. Binnen weniger Tage hat sich nun unter Volkswirten die Erwartung durchgesetzt, dass zur nächsten Notenbanksitzung am 4. Mai mit einer Anhebung um 0,5% zu rechnen sei, 70% der Volkswirte sind davon überzeugt.

Fast die Hälfte aller Volkswirte rechnet bis Ende 2022 mit einem Leitzinsniveau von 2,5% - 2,75%. Das entspricht 9 "kleinen" Zinsschritten. Da es nur noch sechs Notenbanktermine gibt, müsste also bei drei Terminen ein großer Schritt vollzogen werden.

Wenn wir uns also die derzeitige Situation mit etwas Abstand anschauen, könnte es kaum schlimmer sein: Die Inflation droht davon zu galoppieren. Der Ukraine-Krieg zeigt derzeit keine schnelle Lösung. Immerhin ist China noch passiv und Corona scheint sich zu bessern. Doch ob das allein schon ausreicht, um für steigende Kurse an den Aktienmärkten zu sorgen, wage ich zu bezweifeln.

Für die europäische Wirtschaft, insbesondere für die deutsche Konjunktur, ist die Energielieferung (Öl & Gas) aus Russland wichtig. Ein Lieferstopp würde uns in eine Rezession stürzen. Putin kündigte an, die Lieferungen nur noch gegen Rubel bezahlen zu lassen. Darauf kann Europa eigentlich nicht eingehen und es wird händeringend nach einem Ausweg gesucht.

Ein Lieferstopp würde die Energiepreise (Öl & Gas) nochmals weiter nach oben treiben und für viele Betriebe würde die Produktion unrentabel. Verbraucher müssten mehr Geld für ihre Heizung und ihr Auto berappen und so käme es sehr schnell zu einer Rezession, die nicht nur Deutschland und Europa, sondern vermutlich die ganze Welt erfassen könnte.

Wenn Sie von mir in einer so ungewissen Situation nun hören wollen, ob wir Aktien kaufen oder verkaufen sollen, dann kann ich Ihnen darauf nicht die "eine" Antwort geben. Vielmehr müssen wir unser Portfolio dahingehend überarbeiten, dass wir möglichst viele Titel haben, die zwar im Börsencrash mit ausverkauft werden, deren Geschäftsmodell jedoch weitgehend unabhängig von den hier aufgeführten Ereignissen ist. Außerdem brauchen wir eine Strategie für den Fall, dass die Situation sich nochmals verschlimmert, aber auch für den Fall, dass es nicht mehr schlimmer wird. Mehr dazu in Kapitel 04 der aktuellen Heibel-Ticker Ausgabe. Regelmäßige Updates erhalten jeden Freitag per Mail.

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Stephan Heibel

Seit 1998 verfolge ich mit Begeisterung die US- und europäischen Aktienmärkte. Ich schreibe nun wöchentlich für mehr als 25.000 Leser über die Hintergründe des Aktienmarktes und die Ursachen von Kursbewegungen. Meine Leser schätzen meinen neutralen, simplen und unterhaltsamen Stil. Als Privatanleger nutzen sie meine Einschätzungen und Anlageideen, um ihr Portfolio unabhängig zu optimieren.

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