Am vergangenen Freitag habe ich die Extremsituation im Anlegersentiment hervorgehoben. Gestern wurde ich vom Handelsblatt zum Podcast "Handelsblatt Today" eingeladen (Link zur Aufnahme finden Sie unten) und konnte die am Freitag aufgestellte "vorläufige" Erkenntnis vertiefen. Sie wissen es vielleicht: Die Umfrage, auf die sich die Auswertung bezieht, läuft bis Samstag Abend. Wenn ich Freitag Mittag eine Auswertung vornehme, ist diese vorläufig, da sich manchmal (sehr selten) noch Änderungen ergeben können.
Ich habe mir einen Datenpunkt herausgesucht, den ich tiefer analysiert habe: Die Dax-Erwartung der Privatanleger. Diese ist nämlich mit einem Wert von -24 so pessimistisch, wie selten zuvor. Tatsächlich gab es in den vergangenen 16 Jahren nur zwei Zeitpunkte, in denen die Erwartung noch pessimistischer war: Einmal im Mai 2020 und dann nochmals im Juni 2020, also beide male mitten in der Corona-Pandemie.
Sie wissen vielleicht, was anschließend mit dem DAX passiert ist. In den folgenden sechs Monaten stieg der DAX um rund 14% an. Ich habe sogar eine graphische Auswertung dafür:
In Gesprächen am Wochenende fiel es mir schwer, Lösungsmöglichkeiten für die aktuellen Probleme unserer Welt zu entwickeln. Doch die negativen Stimmungswerte zwingen mich dazu, nach positiven Entwicklungsmöglichkeiten zu schauen. Also:
Was, wenn die Inflation von ganz allein zurückgeht? Die Arbeitsmarktdaten, die gestern veröffentlicht wurden, waren nicht mehr so überhitzt, wie in den vergangenen Monaten. Im Quartalsbericht von Amazon haben wir erfahren, dass der weltgrößte Online-Versandhändler viel zu viele Mitarbeiter eingestellt hat. IN der Corona-Pandemie mussten Stellen doppelt und dreifach besetzt werden, um krankheitsbedingte Ausfälle zu kompensieren. Nun hat Amazon zu viele Mitarbeiter. für den überhitzten Arbeitsmarkt wäre es ein Segen, wenn einige dieser Mitarbeiter freigesetzt, also der Arbeitsmarkt wieder zur Verfügung gestellt werden.
Die Lohn/Preis-Spirale, vor der so viele Angst haben, könnte unterbrochen werden, bevor sie überhaupt richtig einsetzt.
Gestern habe ich den Bericht des Vorstands von Wienerberger anlässlich der Hauptversammlung gehört. Er sprach von ersten Anzeichen, dass die Nachfrage nicht mehr so ungezügelt boomt, wie noch vor wenigen Wochen. Anleger haben Angst davor, dass die ungezügelte Nachfrage nur durch exorbitant hohe Zinsen gezügelt werden könnte, so dass alle hoch verschuldeten Staaten Europas ihre Zinslast nicht mehr tragen könnten. Doch die bislang durchgeführten Preisanhebungen in der Baubranche zeigen offensichtlich bereits ihre Wirkung und zügeln die Nachfrage.
Vielleicht erleben wir auch an dieser front früher schon eine Beruhigung der Situation, als wir es uns bis vor kurzem vorstellen konnten.
Dann ist da noch die Sorge vor weiteren Lieferengpässen, erzeugt durch die Lockdowns in China. Ehrlich gesagt, ich kann mir nicht vorstellen, dass China seine Null-Covid-Strategie durch die gesamte Omikron-Zeit durchhalten kann. China wird eine Lösung, einen Kompromiss finden und die Häfen wieder öffnen. Wenn sie auch heute noch behaupten: "Nein, niemals weichen wir von Null-Covid ab", so könnte die Realität schneller zu einem Umdenken zwingen, als sich das die derzeit machthabenden Politiker Chinas (insbesondere Xi) sich das wünschen.
Für den Ukraine-Krieg fällt es mir am schwersten, einen Ausweg zu finden. Seit gestern möchte Deutschland nun sogar modernste Panzer liefern, nicht nur welche, die vor Jahrzehnten ausgemustert wurden. Die USA haben das erklärte Ziel, Russland zu "besiegen", während wir in Europa lediglich davon sprechen, Russland aufzuhalten. Hmm, ich erspare mir an dieser Stelle das Spekulieren. Die oben aufgeführten Beispiele zur Inflation sollen ja keine Prognosen sein, sondern nur Beispiele dafür, dass auch Dinge passieren können, die wir derzeit gar nicht erwarten würden...
...und damit möchte ich Ihnen nochmals eindringlich an Herz legen, jetzt nicht ehr zu verkaufen, sondern im Gegenteil zu kaufen. Wir haben noch 8% an Cash, um im falle eines weiteren Rückschlags nochmals zuzugreifen. Ich weiß jedoch, dass viele von Ihnen derzeit 20%, 30% oder noch viel mehr in Cash halten. Das ist in meinen Augen zu viel.
Das bekannte Gegenargument ist: Was, wenn Russland einen taktischen Atomschlag durchführt? Wir würden den DAX nochmals 20-30% tiefer wiederfinden. Das wäre verheerend, doch die ungemütliche Antwort auf dieses Szenario lautet: Dann haben wir ganz andere Probleme, als 20-30% Kapitalverlust.
Freundliche Grüße
ekip.de AG c/o Stephan Heibel
Herausgeber des
Börsenbriefes Heibel-Ticker
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DAX-Sentiment: Warum schlechte Anlegerstimmung ein gutes Kaufsignal ist
Seit 1998 verfolge ich mit Begeisterung die US- und europäischen Aktienmärkte. Ich schreibe nun wöchentlich für mehr als 25.000 Leser über die Hintergründe des Aktienmarktes und die Ursachen von Kursbewegungen. Meine Leser schätzen meinen neutralen, simplen und unterhaltsamen Stil. Als Privatanleger nutzen sie meine Einschätzungen und Anlageideen, um ihr Portfolio unabhängig zu optimieren.
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