Jeder Analyst hat eine Meinung zu Tesla. Sehr viele Analysten haben ihre Meinung auch in Zahlen ausgedrückt und entsprechende Kursziele ausgerechnet. Diese Ziele waren beides, entweder zu hoch, oder zu niedrig. Nur eines waren sie nie: richtig.
Woran liegt das? Was macht es so schwer, ein vernünftiges Kursziel für Tesla zu errechnen?
Ein amerikanischer Analyst, der sich auf die DCF-Analyse verlässt, hat eine ausführliche Analyse seiner Fehler der vergangenen 13 Jahre vorgenommen und veröffentlicht (als E-Mail, daher kann ich Ihnen keinen Link geben). Ein DCF-Modell (Discounted CashFlow) schätzt die Cashflow-Entwicklung der Zukunft, macht dafür Annahmen und errechnet einen abdiskontierten Wert für die Gegenwart, der dann als „fairer” Wert bezeichnet wird. Ich habe die wichtigsten Erkenntnisse für Sie herausgezogen.
Als ersten Fehler
macht der Analyst ein Unterschätzen des Wachstumspotentials Teslas aus. Im Jahr 2013 habe er in seinem DCF-Modell ein exorbitantes Wachstum für 10 Jahre angenommen, danach jedoch kein weiteres Wachstum mehr eingerechnet. Für 2023 rechnete er mit einem Jahresumsatz von 64 Mrd. USD und lag damit gar nicht so weit weg von den tatsächlichen Zahlen: Für 2022 hat Tesla einen Jahresumsatz von 73 Mrd. USD vermeldet.
Allerdings konnte sich der Analyst nicht vorstellen, dass Tesla einen größeren Marktanteil erobern würde als eine E-Mobilitätsnische. Immerhin gab es über Jahrzehnte im Automobilsektor keinen neuen Wettbewerber für die etablierten Weltkonzerne. Marktanteile verschoben sich nur geringfügig oder wurden über Fusionen und Übernahmen neu verteilt.
So ist der große mathematische Irrtum in der ewigen Wachstumsrate zu sehen, die bei Tesla vor 10 Jahren auf Null gesetzt wurde, tatsächlich beträgt das Wachstum auch heute noch 25% und mehr!
Der zweite Fehler,
den der Analyst machte, war, Tesla als Automobilhersteller zu bewerten, nicht als Anbieter von Elektronikartikeln und Software.
Die Gewinnmarge liegt bei Automobilkonzernen durchschnittlich bei 6-8%. Tesla hingegen konnte 2022 eine Marge von 16,6% erzielen und kann daher nicht mit Bewertungskennziffern eingestuft werden, die eigentlich für die margenschwachen Automobilhersteller gelten.
Mag sein, dass die Marge aufgrund der Inflation und vielleicht auch aufgrund des nunmehr endlich anziehenden Wettbewerbs ein wenig unter Druck gerät. Immerhin hat Tesla zuletzt mehrfach seine Verkaufspreise reduziert. Dennoch ist der Margenabstand zwischen Tesla und „dem Rest” gigantisch und ermöglicht es Tesla, zukünftig auch über den Preis neue Kunden zu gewinnen.
Als dritten Fehler
nennt der Analyst seine aus der Autoindustrie abgeleitete Annahme zum CAPEX, also zu den Investitionen, die regelmäßig zur Aufrechterhaltung des Geschäfts erforderlich sind.
In der Automobilindustrie werden typischerweise 5-6% des Umsatzes reinvestiert, Tesla konnte sein Wachstum mit deutlich weniger erreichen und kann seine Bilanz dadurch deutlich besser hebeln, die Umsatz zum Kapital Quote ist deutlich höher.
Mit Hilfe dieser (falschen) Annahmen kam der Analyst auf einen fairen Wert, der nur 40% des damaligen Kurswertes betrug. Im Anschluss ist nicht die Aktie in Richtung ihres „fairen” Wertes gelaufen, sondern wurde über die Zeit nur noch teurer und teurer.
Im Jahr 2019 wurde die DCF-Analyse mit den hier genannten Erkenntnissen aktualisiert. Es konnte ein fairer Wert ermittelt werden, der dieses Mal um 40% über dem aktuellen Aktienkurs lag.
Unter großen Schwankungen konnte der Kurs im Anschluss bis Ende 2021 nicht um 40%, sondern um 700% zulegen (in Worten: siebenhundert!)… seither folgte jedoch ein Kurseinbruch um 70%.
Der Analyst führt diese heftigen Schwankungen nun auf die Komponente „Elon Musk” zurück. Der Gründer und CEO sorgt immer wieder für Schlagzeilen. In einem Augenblick bestrahlt seine Genialität alle Kritiker, im nächsten Augenblick wird er als Gefahr für Tesla wahrgenommen.
Die Situation ist schon irre: Das Wachstum, den Erfolg von Tesla kann man mit Zahlen nicht darstellen. Elon Musk hat das Unmögliche möglich gemacht: Er hat einen neuen Automobilhersteller in der Welt etabliert. Das ist nicht durch vernünftige Entscheidungen gelungen, sondern durch Genialität und durch ein wenig verrückte Ideen.
Wenn nun also Analysten gelernt haben, dass der Erfolg Teslas nicht mit herkömmlichen Modellen nachgerechnet werden kann, dann muss man dem Gründer und CEO Elon Musk ein größeres Gewicht bei der fairen Bewertung zugestehen.
Doch wenn dieser dann während einer Radiosendung beim Gras-Rauchen gefilmt wird, sich mit fragwürdigen Aussagen zur finanziellen Situation seines Konzerns zu weit aus dem Fenster lehnt und schließlich auf eine Mission zur Weltverbesserung durch ehrlichen Journalismus über Twitter aufbricht, gerät der Musk-Bonus in der Bewertung von Tesla ins Schwanken.
Ich persönlich habe die Ausarbeitung des Analysten mit großem Interesse gelesen, denn auch ich bin bei Tesla immer wieder in die Irre geführt worden. Ich erkenne Parallelen zu Amazon.
Amazon war im Jahr 1997 an die Börse gegangen. Ich war damals bereits einer der ersten Kunden von Amazon in Deutschland und ich war von Anfang an überzeugt, sowohl vom Geschäftsmodell als auch vom Gründer und CEO Jeff Bezos, über den ich mich damals schlau gemacht hatte.
Doch genau wie Tesla war auch Amazon von Tag 1 an für meinen Geschmack zu hoch bewertet. Ich habe über die Jahre immer wieder mal Amazon-Aktien gekauft, genau wie bei Tesla, und konnte damit mitunter gut verdienen. Doch den Mut, die Position über 10 Jahre liegen zu lassen, hatte ich nicht. Der große Gewinn blieb mir daher verwehrt, obwohl ich doch inhaltlich frühzeitig überzeugt war und das in meinen Augen überlegene Geschäftsmodell gegenüber den intellektuell vermeintlich überlegenen Kritikern stets verteidigt habe.
Ist es Zufall, dass eine von zig Geschäftsideen so durchstartet? Oder gibt es Gemeinsamkeiten bei den Erfolgsgeschichten unserer Generation: Microsoft, Apple (da waren wir mit dem Heibel-Ticker immerhin über 15 Jahre dabei!), Nvidia (ist deren Erfolgsgeschichte schon zu Ende?), …?
Ich ziehe aus dieser Betrachtung eine wesentliche Erkenntnis
Mit Finanzmathematik und Gehirnschmalz, mit guten Informationen und schnellem Marktzugang kann man ein wenig besser abschneiden als der Durchschnitt. Für wirklich überragende Ergebnisse muss man vermutlich mehr auf seinen Bauch hören. Doch dem darf man nicht sein gesamtes Vermögen anvertrauen, sondern höchstens mal die eine oder andere spekulative Position.
Meine komplette Einschätzung gibt es unter https://www.heibel-ticker.de/heibel_tickers/2075#ch02. Dort können Sie sich auch kostenlos für wöchentliche weitere Einschätzungen für Privatanleger anmelden.
Seit 1998 verfolge ich mit Begeisterung die US- und europäischen Aktienmärkte. Ich schreibe nun wöchentlich für mehr als 25.000 Leser über die Hintergründe des Aktienmarktes und die Ursachen von Kursbewegungen. Meine Leser schätzen meinen neutralen, simplen und unterhaltsamen Stil. Als Privatanleger nutzen sie meine Einschätzungen und Anlageideen, um ihr Portfolio unabhängig zu optimieren.
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