Veröffentlicht von Stephan Heibel am 27.10.2008 um 08:46 Uhr

Börsenbrief Kritik: Zu pauschal und meinungsorientiert

Lieber Herr Heibel

Ich bin auf ihren Ticker durch einen Freund aufmerksam geworden und habe ihn bisher gerne und mit Interesse gelesen. In ihrem unten angehängten Update tätigen Sie einige Aussagen, die ich für etwas unpräzise halte und auch einige Aussagen, die mir ein bisschen unsachlich erscheinen. Ich habe Verständnis, dass wenn man so viel schreibt wie Sie und der Anspruch besteht sehr schnell auf Geschehnisse zu reagieren auch mal etwas aus der Feder kommen kann, dass man im Nachhinein vielleicht anders formuliert hätte. Es geht mir nicht darum sie als Autor zu kritisieren. Mein Ansporn ist vielmehr rein sachlich auf die Inhalte einiger Äusserungen zu reagieren. Ich hoffe deshalb, dass Sie dies nicht falsch verstehen und persönlich nehmen.

«Ein kleingeistiger Konservativer, dessen Hirn mit komplexen, internationalen Zusammenhängen völlig überfordert ist. Bush verfügte nicht über die notwendige Weltoffenheit, noch über ausreichend Intelligenz, diesen Mangel zu kompensieren.«
Ich bin der Meinung, dass man in einem Ticker einen etwas sachlicheren Ton an den Tag legen sollte. Mit Schlamm werfen die Medien, mit deren Niveau ich ihren Ticker eigentlich überhaupt nicht in Verbindung bringe, bereits genug.

«Und spätestens die simplizistische Sicht der Dinge, mit der Bush in seiner Amtszeit weltweit für Chaos sorgte, dürfte inzwischen auch den
konservativsten Vertreter der freien Märkte davon überzeugt haben, dass Adam Smiths unsichtbare Hand nicht immer für das effizienteste Ergebnis sorgt.«

Vergessen Sie hier bitte nicht, dass die neoklassische Sichtweise sehr wohl für den Eingriff des Staates plädiert, nämlich dann, wenn es zum Marktversagen kommt. Sieht man aber von diesen Fällen einmal ab, gibt es eine nachvollziehbare Theorie und zahlreiche empirische Studien, die belegen, dass der Markt unter gewöhnlichen Rahmenbedingungen die effizienteste Lösung finden wird und dass aufgrund des Informationsmangels ein Dritter durch Eingriffe in den Markt nur selten derartig effiziente Lösungen bereitstellen kann. Es ist deshalb auch nicht überraschend, dass die USA als hochentwickelte Volkswirtschaft in Boomzeiten ein BIP-Wachstum von 4-5% erreicht, während das im Vergleich zur USA stärker regulierte Europa auf Wachstumsraten von knapp über 2% kommt. Darüber hinaus könnten noch viele andere Dinge, wie Rahmenbedingungen für Unternehmensgründer, Steuerpolitik, u.s.w. angeführt werden.

«Zumindest Europa hat auf den Rechtsruck der USA durch die Politik Bushs reagiert.«

Diese Aussage kann ich nicht nachvollziehen. Für mich hat der Linksruck in Europa bereits deutlich vor der Regierung Bush begonnen. Es gibt kaum Länder in Europa (Polen ist eine Ausnahme) in denen seit 2001 von einer konservativen Regierung auf eine sozialistische Regierung gewechselt wurde. In den meisten Ländern bestanden schon vorher sozialistische Regierungen. In D wurde Rot/Grün durch Schwarz/Rot ersetzt und Schwarz war stärkste Partei und stellte bekanntlich die Kanzlerin. In England wurde in jüngerer Vergangenheit die sozialistische Regierung unter Blair/Brown massiv unter Beschuss genommen und die Konservativen gewinnen derzeit jede Lokalwahl. Dies im übrigen nicht wegen dem Irakkrieg - den Blair musste deswegen ja zurücktreten - sondern wegen anderer Themen, die gerade mit der wirtschaftlichen Sichtweise und der Ideologie von einem kontrollierenden Staat zusammenhängen. In diversen anderen Ländern bestanden bereits vor Bush sozialistische Regierungen. Von einer Reaktion Europas auf Bush zu sprechen, halte ich deshalb für falsch. Ich stimme zwar mit Ihnen überein, dass Angela Merkel nicht wirklich als konservativ bezeichnet werden kann. In dem Zusammenhang aber indirekt zu behaupten, dass deutsche Wähler als Reaktion auf die Politik von Bush die CDU zu stärksten Partei gewählt hätten, halte ich für sehr weit hergeholt.

«Die nunmehr gefundene Lösung des Investments des Staates in den Bankensektor durch den Kauf von Anteilen an den Banken ist ein Rückschritt für die freien Märkte, ein Fortschritt für eine stärkere Staatsrolle.«
Diese Aussage stimmt nur bedingt. Den die Ideologie der freien Märkte fordert wie bereits erwähnt ein Eingreifen des Staates, wenn der Markt versagt. Wenn ein Misstrauen zwischen den Banken herrscht, so dass diese sich gegenseitig kein Geld mehr leihen und der Markt für Kredite zwischen Banken zum erliegen kommt, kann man sehr wohl von einem Marktversagen sprechen. Damit ist dies auch keine "Bankrotterklärung des Turbo-Kapitalismus", den die Ideologie dahinter gesteht ja die Möglichkeit des Versagens des Marktes ein.

«Mitten in diese ideologische Bankrotterklärung des Turbokapitalismus kommt nun auch noch das schwedische Nobelpreiskomitee mit der Meldung, den Wirtschaftsnobelpreis an Paul Krugman zu vergeben, ein linksorientierter Kolumnist der New York Times, der in seinen Forschungsjahren die These der
freien Marktwirtschaft widerlegte, dass freie Handelsbeziehungen stets zu effizienterer Produktionslokalisierung führen. Er belegte, dass Entwicklungen wie Verstädterung zu einem größeren Bedarf an Diversifizierung führen und dadurch unterschiedliche Produktionsbedingungen an
verschiedenen Standorten dennoch ähnliche Produkte effizient hervorbringen können. Nebenbei war Krugman in den vergangenen 8 Jahren einer der heftigsten Kritiker der Bush-Politik. Ob hier das Nobelpreis-Komitee den Amerikanern einen Hinweis geben möchte?«

Ich kann mir vorstellen, dass Paul Krugmann es als eine Diskreditierung empfindet, wenn man die Ursache für den Entscheid für seine Person an seiner Kritik an der Bush-Regierung festmacht. Ich bin auch nicht sicher, dass Ihre Aussage, dass er die "freie Marktwirtschaft" widerlegte so richtig ist. Vielmehr hat er die Grenzen der freien Marktwirtschaft näher beleuchtet. Dies sind aber Grenzen die von den ideologischen Grundsätzen so auch nicht in Frage gestellt wurden. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass das Nobelpreis-Komitee so niveaulos ist, das Ziel einer politischen Meinungsäusserungen höher zu erachten, als das sachliche Bewerten von wissenschaftlicher Arbeit.

«Nun, selbst die Amerikaner bejubeln die europäische Lösung der Teilverstaatlichung von Banken, noch heute soll in den USA eine ähnliche Vorgehensweise vorgestellt werden.«
So wie Sie dies darstellen wurden die Amerikaner durch diese europäische Lösung gerade zu inspiriert. Tatsächlich waren es aber die Amerikaner, welche mit dem Spiel begannen und bei denen sich z.B. die FED bei AIG einkaufte, bevor die Europäer deratige Ideen öffentlich machten. Zugegeben, es war nicht direkt der amerikanische Staat, der hier gehandelt hat. Trotzdem halte ich es für übertrieben zu behaupten, dass die Amerikaner den Gedankensprung von FED zu Staat nur durch Europa geschafft haben.

«Nun haben wir eine extrem linke Lösung für die Finanzkrise erhalten, eine Lösung, die uns noch jahrelang begleiten wird. Es wird nun wieder viele
Jahre dauern, bis dem Staat erlaubt wird, seine Anteile an den Banken, selbst unter Gewinnrealisierung (steuerfrei?), zu vermindern. Zu groß ist nun die Angst vor einem erneuten Fehlverhalten der Banker.«

Nur weil diese Lösung eine staatliche Beteiligung bei Privatfirmen vorsieht, würde ich nicht von einer linken Lösung sprechen. Der Staat erfüllt seine Rolle bei einem Marktversagen einzuschreiten und das Vertrauen unter den Banken zu unterstützen. Diese Beteiligung baut er sukzessive ab, wenn die Marktverhältnisse dies wieder zulassen. Es ist also nicht das Ziel die Unternehmen auf Dauer durch den Staat zu kontrollieren. Eine Angst vor einem Fehlverhalten der Banker ist meines Erachtens nicht das Problem, sondern vielmehr die Komplexität der CDOs die es so schwierig macht, das eigene Risiko richtig einzuschätzen, sowie die Tatsache, dass niemand offen legt bzw. auch nicht abschätzen kann, in wie weit er von weiteren "Defaults" von derzeit noch gesunden Krediten negativ betroffen sein wird.

Trotz dieser Einwände danke ich Ihnen für ihren interessanten Ticker und wünsche Ihnen, dass Sie mir ihren Börsenprognosen auch weiterhin so oft ins Schwarze treffen. Ich hoffe, dass mein Feedback nicht einfach verpufft und es mir gelingt, Sie in dem ein oder anderen Punkt auch ein wenig zum Nachdenken anzuregen. Es tut mir leid, wenn einige Aussagen ein bisschen lehrmeisterisch rüberkommen. So sind Sie nicht gemeint. Ich bin sicher, dass ihre Bildung die Meinige bei weitem übertrifft.

Ich persönlich mache mir grosse Sorgen über die Zukunft unseres Landes, wenn ich mir die politischen Programme einer Linkspartei ansehe. Es handelt sich für mich um viele wohlklingende Versprechungen, die nicht finanzierbar sind und ins Nirvana führen. Die Tatsache, dass die ökonomischen Ideologien, welche die ehemalige DDR über 40 Jahre wirtschaftlich ruinierten bei manchen Wahlen bereits wieder ein Viertel der Wähler im Osten für sich gewinnen können, beunruhigt mich sehr. Ich persönlich empfinde deshalb, dass die derzeitige Finanzkrise sehr stark medial ausgeschlachtet wird um eine Kapitalismuskritik zum Ausdruck zu bringen, welche politisch motiviert und von sehr vielen Halbwahrheiten durchzogen ist. Wir dürfen nicht vergessen, dass alle sozialen und sozialistischen Elemente unseres Staates ohne den Kapitalismus heute so gar nicht finanzierbar wären. Damit sage ich nicht, dass das System des Kapitalismus nicht auch Schwächen hat, nämlich gerade dann, wenn Akteure ohne ein gewisses Mass an Ethik und Werte handelt. Diese Werteproblem werden wir aber nicht durch eine Abschaffung des Kapitalismus lösen. Die Lösung liegt meines Erachtens vielmehr in einer Verbesserung der Schwachstellen eines kapitalistischen Wirtschaftssystems und in der Erziehung der nächsten Generationen, denen wir wieder die Bedeutung von Werten wie z.B. Ehrlichkeit beibringen müssen.

Freundliche Grüsse, Torsten aus der Schweiz


ANTWORT:
herzlichen Dank für Ihre Anmerkungen. Ja, der Heibel-Ticker soll sachlich Zusammenhänge darstellen. Zusätzlich, und deswegen wird der Heibel-Ticker so gerne gelesen, wenn ich den Aussagen meiner Leser glaube, zusätzlich gebe ich meine persönliche Meinung preis. Meistens gut abgetrennt und begründet, manchmal gehen aber auch die Pferde mit mir durch ... und wenn man acht Jahre lang kontinuierlich und sachlich die Fehler eines Herrn Bush aufgelistet und begründet hat, dann kann man sich meiner Ansicht nach am Ende auch einmal erlauben, diesen Politiker als Niete zu bezeichnen. Wohlgemerkt: Ich bin kein Medium, das Fakten verbreitet, sondern ich bin ein Autor, der seine Sicht der Fakten, seine Interpretationen offenlegt. Mal mehr, mal weniger begründet.

So haben Sie nun mein Update kritisiert, in dem ich ohne Fakten einmal "vom Leder gezogen" habe. Ich habe mir einfach einmal Luft gemacht und meine Ansichten ohne weitere Begründungen formuliert. Ihre differenzierte Kritik kann ich sehr gut nachvollziehen und in vielen Bereichen gebe ich Ihnen Recht. Vielleicht habe ich da etwas vorschnell geurteilt. Doch ohne nochmals auf die einzelnen Punkte einzugehen denke ich, habe ich die Grundtendenz richtig beschrieben. Auch Sie haben dann zum Schluss Ihre Besorgnis über den Links-Rutsch geäußert.

Aber ich bin dankbar für Ihre Kritik, denn es hat mir gezeigt, dass ich mit solchen pauschalisierten Texten vorsichtiger umgehen muß. {weiter[40|9]}

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Stephan Heibel

Seit 1998 verfolge ich mit Begeisterung die US- und europäischen Aktienmärkte. Ich schreibe nun wöchentlich für mehr als 25.000 Leser über die Hintergründe des Aktienmarktes und die Ursachen von Kursbewegungen. Meine Leser schätzen meinen neutralen, simplen und unterhaltsamen Stil. Als Privatanleger nutzen sie meine Einschätzungen und Anlageideen, um ihr Portfolio unabhängig zu optimieren.

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