Ich habe den großen deutschen Reisekonzern TUI ausführlich analysiert. Die Aktie gilt als Kandidat, von der aufgestauten Reiselust der Menschen zu profitieren. Doch die Staatshilfen, die dem Unternehmen während der Pandemie das Überleben gesichert haben, lasten schwer. Ich habe mir im Detail angeschaut, ob eine neue Reiselust die Last der Staatshilfen übersteigen kann, oder aber ob die Aktie auf absehbare Zeit nicht aus dem Quark kommen wird.
TUI wurde in der Coronazeit durch den Staat gerettet. Während viele Wettbewerber pleite gingen, konnte TUI mit Hilfe von Staatshilfen überleben. Immer wieder werde ich gefragt, ob TUI jetzt, in der Nach-Coronazeit Marktanteile der Pleite gegangenen Wettbewerber aufschnappen wird, Preise anheben und dadurch aus der Krise emporsteigen kann wie Phönix aus der Asche.
Oder aber ist das Geschäft von TUI durch die Anteilsverkäufe, die ebenfalls während der Krise getätigt wurden, um die Liquidität zu sichern, so stark verändert, dass ein Vergleich der heutigen TUI mit der Vor-Corona-TUI gar nicht möglich ist? Zudem belasten hohe Kredite und Wandeloptionen auf absehbare Zeit die Kurschancen der Aktie.
Was also überwiegt? Wie könnte TUI aussehen, wenn die Zeiten sich normalisieren? Ich bin dieser Frage nun einmal ausführlich nachgegangen um besser einschätzen zu können, ob TUI sich als Nach-Corona-Spekulation eignet.
Eine typische Leserfrage, wie ich sie häufiger erhalte, nicht nur zu TUI, könnte in etwa wie folgt klingen: Herr Heibel, ich will Sie gar nicht lange aufhalten. Bitte sagen Sie mir nur kurz, ob ich jetzt kaufen soll.
Je kürzer die Antwort, desto aufwendiger die Arbeit dazu :-(. Ich weiß in diesem Fall nicht einmal, ob der Kunde spekulieren möchte, oder ein langfristiges Investment sucht. Aber da ich häufiger nach TUI befragt werde und da wir TUI während der Corona-Zeit erfolgreich im Portfolio hatten, schauen wir uns das Ganze nun im Detail an.
Vor Corona erzielte TUI 17 Mrd. Euro Umsatz und konnte 2-4% davon als Jahresüberschuss ausweisen. Eine magere Marge, der Wettbewerb ist einfach zu groß. Der Enterprise Value (EV = Marktkapitalisierung plus Schulden) betrug damals ebenfalls 17 Mrd. Euro, das KUV-Verhältnis stand also bei 1.
Seither hat TUI zwei Unternehmensteile verkauft: Im Sommer 2020 wurde Hapag Lloyd Cruises für 700 Mio. Euro an TUI Cruises verkauft, einem Joint Venture von TUI und Royal Caribbean Cruises. TUI hält die Hälfte an TUI Cruises. 400 Mio. Euro Jahresumsatz mit einer Gewinnmarge von 14% wurden abgestoßen. Kritiker betrachteten TUI Cruises als das Porzellan von TUI.
Ein Jahr später wurde die Minderheitsbeteiligung an RIU Hotels für 541 Mio. Euro verkauft. Von RIU fand nur der Gewinn bzw. die Dividende den Weg in die Bilanz bzw. Gewinn und Verlustrechnung von TUI, da Minderheitsbeteiligungen nur "teilkonsolidiert" werden. Diese Behandlung ließ also den Konzerngewinn anspringen, ohne den Umsatz zu erhöhen. Das wirkte sich sehr positiv auf die Gewinnmarge aus.
Oder andersrum gesagt: Bei der ohnehin hauchdünnen Gewinnmarge sah es mau aus, nachdem die beiden lukrativsten Bereiche abgestoßen wurden.
In Zahlen bedeutet dies, dass durch den Verkauf von RIU 5% vom Gewinn wegfielen, bei Hapag Lloyd Cruises waren es 7%, die durch den Verkauf hälftig (weil TUI noch die Hälfte am neuen Gemeinschaftsunternehmen hält) wegfielen, also 3,5%. Insgesamt verlor TUI also 2,3% Umsatz und 8,5% vom Gewinn. Das ist nicht schön, aber die Kritik, TUI könne ohne diese beiden Geschäftsbereiche nie wieder das Niveau der Vor-Coronazeit erreichen, halte ich für übertrieben.
Nun war nicht nur das Geschäft von TUI in der Corona-Zeit zusammen gebrochen, Kunden verlangten sogar ihr Geld zurück. Binnen weniger Tage floss die Liquidität von TUI ab und die Einnahmen durch die beiden Verkäufe (400 + 541 = 951 Mio. EUR) reichten bei weitem nicht aus, das Unternehmen liquide zu halten. So griff der Staat ein und stellte weitere 478 Mio. Euro zur Verfügung. Die Hilfe ist mit einem wachsenden Zins sowie mit einer Wandeloption versehen. Zum Kurs von 1 Euro kann der Staat seine Hilfe in Aktien wandeln.
Derzeit gibt es 1.785 Mio. Aktien, der Kurs beträgt 2,21 Euro. Wir haben also eine Marktkapitalisierung von 3,9 Mrd. Euro. Wenn nun der Staat seine Hilfe zum Kurs von 1 Euro wandelt, werden 487 Mio. Euro an Schulden in Eigenkapital gewandelt. Es gibt anschließend aber 478 Mio. mehr Aktien, also insgesamt 2.263 Mrd. Aktien, auf die der erzielte Gewinn verteilt werden muss. Dies würde zu einer Verwässerung des Aktienkurses auf 2,06 Euro führen, -12%. Da dieser Umstand bekannt ist, gehe ich davon aus, dass dieser Effekt im aktuellen Kurs bereits eingerechnet ist. Die -12% wurden also in der Vergangenheit von Anlegern schon abgezogen.
Eine Wandlung würde ich als positives Ereignis sehen, da nach der Wandlung Zinszahlungen in Höhe von 4,5% und mehr wegfallen. Stattdessen müsste sich das neue Eigenkapital, also die Beteiligung des Staates, mit einem Jahresüberschuss in Höhe von 2-4% begnügen. Wirklich attraktiv ist eine Wandlung derzeit also für den Staat nicht.
Die Wandelmöglichkeit wurde dem Staat nur bei der ersten Finanzierungsrunde eingeräumt. Anschließend gab es eine weitere stille Beteiligung in Höhe von 671 Mio. Euro. Insgesamt hat der Staat also Hilfen in Höhe von 1.150 Mio. Euro gestellt. Davon begnügen sich 59 Mio. Euro mit der Wandeloption, der Rest (1.091 Mio. Euro) wird verzinst. Das besondere daran: Der Zins startet bei 4% und steigt jedes Jahr um ein halbes bis ein Prozent. Im Jahr 2030 müsste die Hilfe mit 9% verzinst werden müssen. Ganz schön happig.
TUI ist ein Traditionsunternehmen. Das heißt, TUI hat sein Geschäftsmodell über Jahre am Finanzmarkt optimiert. Aus der Vor-Coronazeit bestehen noch Schulden in Höhe von 13 Mrd. Euro. Nach Verrechnung gegen die Reiseeinnahmen, die in der Regel vor dem Reiseantritt eingehen, verbleibt eine Nettoverschuldung von derzeit 4 Mrd. Euro (zzgl. Staatshilfen). Für die ausstehenden Altverbindlichkeiten hat TUI in den vielen Jahren des Niedrigzinsumfelds günstige Finanzierungsbedingungen eingebucht. Die Staatshilfen sind also die teuersten Kredite, aktuell beträgt der Zins auf die insgesamt 5 Mrd. Euro Schulden durchschnittlich 3,8%.
Die stille Beteiligung des Staates ist also nicht nur jetzt schon der teuerste Kredit, sondern der Zins steigt auch noch weiter an. TUI wird also alles dransetzen, diese 1,091 Mrd. Euro so schnell wie möglich zurückzuführen oder aber den Staat zum Wandeln zu bewegen.
Nach 17 Mrd. Euro Jahresumsatz in der Vor-Coronazeit brach der Umsatz 2020 auf 8 Mrd. Euro ein, 2021 dann sogar auf 4,7 Mrd. Euro. Für das laufende Jahr 2022 werden 15,6 Mrd. Euro erwartet. Das sieht doch schon mal nicht schlecht aus. Doch es schwebt die Ungewissheit weiterer Corona-Einschränkungen im Herbst in der Luft. Schauen wir also, wie das Geschäft 2023 aussehen könnte, bis dahin erwarten Analysten einen Jahresumsatz von 18,5 Mrd. Euro.
In den Jahren vor Corona hatte TUI etwa 1.178 Mio. Euro operativen Cashflow vor Veränderungen des Working Capitals pro Jahr verfügbar. Cashflow also, aus dem Investitionen und Finanzierungen bedient werden mussten. Wenn wir dort die 8,5% abziehen, die durch den Verkauf von Hapag Lloyd und RIU Hotels wegfallen, bleiben 1.084 Mio. Euro.
In den Jahren vor Corona hat TUI jährlich 1 Mrd. Euro in Hotels, Flieger und Kreuzfahrtschiffe investiert. Also fast die gesamten verfügbaren Mittel wurden in den Ausbau des Inventars gesteckt.
Heute ist das nicht mehr möglich, denn der Zinsaufwand beträgt 400 Mio. Euro. Für 2022 rechnet TUI mit CapEx (Investitionen) in Höhe von 120 - 280 Mio. Euro. Wenn also von den 1.084 Mio. Euro 400 Mio. Euro für Zinsen und max. 280 Mio. Euro für Investitionen ausgegeben werden, bleiben am Ende des Jahres frei verfügbare Mittel in Höhe von 400 Mio. Euro, mit denen Kredite getilgt werden können. Ich halte das für eine einmalige und nicht nachhaltige Strategie, die Kredite zu Lasten der Investitionen zurückzuführen. TUI ist auf moderne Hotelanlagen und Kreuzfahrtschiffe angewiesen. Bleiben Investitionen aus, so dürfte ein alterndes Inventar mittelfristig zu anderen Problemen führen.
Nun schiebt das Unternehmen 5 Mrd. Schulden vor sich her und möchte diese gerne schnellstens reduzieren, insbesondere die Staatshilfen. Wenn das Geschäft anzieht und wieder die frühere Liquidität durch die TUI-Kassen fließt, dann ist unter Nutzung der alten Kreditlinien gegebenenfalls eine weitere Rückführung der Staatshilfen möglich, ohne frisches Kapital aufzunehmen. Vielleicht kann so die jährliche Zinslast von derzeit 400 Mio. Euro wieder in Richtung 50 Mio. Euro gedrückt werden. Dann hätte das Unternehmen wieder Luft für die derzeit ausbleibenden Investitionen.
Doch beides gleichzeitig zu stemmen, Rückführung der Staatshilfen und Investitionen in das Hotel-, Flieger, und Schiffsinventar, wird wohl aus dem laufenden Geschäftsbetrieb nicht möglich sein. Dazu wird es mMn erneut eine Kapitalerhöhung geben müssen. Aber auch danach ist die Profitabilität von TUI nicht begeisternd. Die Marge ist auch in der Zukunft dünn und zusätzlich zu den eigenen Schulden türmen sich auch in der 50%-Beteiligung an TUI Cruises hohe Schulden.
TUI möchte künftig diese Investitionen durch Fonds finanzieren lassen. Damit sinkt zwar das finanzielle Risiko des Konzerns, es sinkt aber ebenfalls die mögliche Gewinnmarge.
Hmm, also wenn ich mir das alles so anschaue, bin ich nicht gerade begeistert. Wir haben in unserem Heibel-Ticker Börsenbrief Portfolio zwei andere Aktien ausgewählt, mit denen wir auf einen Aufschwung nach Corona spekulieren. Bei TUI würde ich erst einmal abwarten, wie das Unternehmen den Spagat zwischen der Rückführung der Kredite und der schwachen Gewinnmarge schafft.
Seit 1998 verfolge ich mit Begeisterung die US- und europäischen Aktienmärkte. Ich schreibe nun wöchentlich für mehr als 25.000 Leser über die Hintergründe des Aktienmarktes und die Ursachen von Kursbewegungen. Meine Leser schätzen meinen neutralen, simplen und unterhaltsamen Stil. Als Privatanleger nutzen sie meine Einschätzungen und Anlageideen, um ihr Portfolio unabhängig zu optimieren.
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