Am Mittwoch hat die US-Notenbank den Leitzins um 0,5% auf 4,25-4,5% angehoben. Fed-Chef Jay Powell machte deutlich, dass die Zinsanhebungen noch eine Weile andauern werden. Am Markt erwartet man nun eine Zielgröße von 5,1%, ich persönlich gehe von einem Ziel bei mindestens 5,5% aus. Auch machte Powell deutlich, dass ein hoher Leitzins uns für längere Zeit begleiten werde.
Wer vor 10 Tagen den Heibel-Ticker gelesen hat, der war genau auf diese Situation vorbereitet. Jay Powell hatte den Markt entsprechend vorbereitet und so enthielt die Zinsentscheidung keine Überraschung. Der Aktienmarkt reagierte kaum auf die Zinsanhebung in den USA.
Letzten Donnerstag hob sodann auch die Europäische Zentralbank EZB den Leitzins um 0,5% an, das Zinsniveau steht nun bei 2,5%. EZB-Chefin Christine Lagarde führte im Anschluss aus, dass die Inflation aktuell höher sei, als man noch vor wenigen Wochen erwartet hatte. Sie erläuterte, das der jüngst gesehene leichte Rückgang der Inflationsrate in der EU von 10,6% im Oktober auf 10,0% im November überwiegend auf den nachlassenden Preisdruck am Energiemarkt zurückzuführen sei. Der Preisdruck bei Nahrungsmitteln sowie in der gesamten Wirtschaft werde jedoch für einige Zeit anhalten. Und so kommt die EZB nun auf eine Inflationserwartung für 2023 von 6,3%.
Ich möchte daran erinnern, dass Christine Lagarde noch Anfang des Jahres die Inflation als vorübergehend bezeichnete und erste Zinsschritte erst Mitte des Jahres (21. Juli) einleitete. Wenn es die Aufgabe der EZB ist, die Inflation im Euroraum bei 2% zu halten, dann hat sie ihr Ziel verfehlt.
In den USA begann Jay Powell am 16. März, den Leitzins anzuheben. Auch Powell wird vorgeworfen, zu spät mit Zinsanhebungen begonnen zu haben. Ich möchte Powell jedoch in Schutz nehmen: Im vergangenen Winter war die Wirtschaft noch stark von Lockdowns, Lieferkettenproblemen und weiteren Einschränkungen durch Coronamaßnahmen belastet. Die Politik schüttete Stimuli aus, um Unternehmen und Bürgern zu helfen. Es schwelte permanent die Gefahr einer massiven Ausweitung der Lockdowns, hätte sich das Infektionsgeschehen stärker ausgebreitet.
Vor dem Hintergrund dieser Gefahr hätten sich Zinsanhebungen im vergangenen Winter als vorschnell erweisen können und so musste Powell abwarten. Doch sobald sich abzeichnete, dass die schlimmsten Befürchtungen nicht eintraten, begann er konsequent mit Zinsanhebungen und schraubte mit insgesamt vier Jumboschritten (0,75%) das Leitzinsniveau schneller nach oben als irgendwann sonst in den vergangenen vierzig Jahren.
Um es kurz zu machen: Jay Powell ist für mich ein Held, der gegen politischen Widerstand und gegen Mainstream Medien die Erfahrung der Geschichte (1965-1982) auf die Gegenwart anwendet und konsequent handelt. Für die USA erwarte ich im kommenden Jahr einen deutlich abgeschwächten Inflationsdruck und vermutlich eine kurze Rezession.
Christine Lagarde hat uns letzte Woche mitgeteilt, dass die Inflation nur langsam zurückgehen wird: Nach 8,4% im laufenden Jahr 2022 erwartet die EZB 6,3% für 2023 und dann noch immer 3,4% für 2024. Wenn Sie also 2022 mit 10.000 Euro auf dem Konto gestartet haben, dann wird dieses Geld bis Ende 2024 nur noch eine Kaufkraft von 8.393 Euro haben. Wer seine Rente aus einem Kapitalstock bestreiten möchte, kann seine Kaufkraft mit mageren 2% nicht erhalten. Wie schön waren doch die Zeiten, als unser Geld im Nullzinsumfeld wenigstens nicht so schnell seinen Wert verlor.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen Powell und Lagarde ist auch die Kommunikation: Powell hatte den Finanzmarkt auf die jüngste Zinsentscheidung gut vorbereitet, es gab kaum Kursausschläge in Folge der Zinsentscheidung. Lagarde hingegen überraschte nun mit ihrem Eingeständnis, dass die Inflation nun doch nicht so leicht verschwinden werde.
Eine anhaltend hohe Inflationsrate dürfte viele Anleger Überaschen, die auf ein schnelles Einlenken der Notenbanken gesetzt haben. Wir werden also noch eine Reihe von Zinsanhebungen sehen, sowohl in den USA als auch in Europa und das wird das Zinsniveau insgesamt weiter nach oben schrauben. Darunter werden insbesondere Wachstumstitel leiden.
Im Jahr 2022 wurden gerade die Wachstumsaktien ausverkauft und einige glauben nun, dass der Ausverkauf übertrieben war. Doch wenn ich mir vor Augen führe, dass wir eine Liquiditätsflutung historischen Ausmaßes hinter uns haben, würde ich nicht darauf setzen, dass diese Liquiditätsflutung bereits durch ein paar Zinsschritte ausgeglichen wurde.
Die Fed, und vielleicht später auch die EZB, wollen Vermögenswerte vernichten, die durch die Liquiditätsflutung entstanden waren: Über 200 verschiedene Krytowährungen und Token, die wie private Währungen undurchsichtig sind, von einzelnen gepuscht werden und keinerlei staatlicher Regulierung unterliegen, müssen verschwinden.
Ich verwende gerne den Vergleich zur Internetblase um die Jahrtausendwende. Auch damals gab es hunderte Internetunternehmen ohne Gewinn, teilweise ohne Umsatz, mit schwindelerregenden Bewertungsmultipels. Nur eine Handvoll davon blieb nach drei Jahren Bärenmarkt in diesem Sektor übrig. Ich gehe davon aus, dass Bitcoin und Ethereum übrig bleiben, sicherlich noch ein paar andere. Doch wenn wir erst ein Jahr hinter uns haben, dann könnte die Bereinigung noch weitere zwei Jahre in Anspruch nehmen. In dieser Zeit werden alle Kryptowährungen weiter gen Süden segeln, also auch der Bitcoin.
IPOs und SPACs fluteten die Finanzmärkte, ich habe darüber berichtet. Auch diese Unternehmen müssen zum größten Teil verschwinden. Und natürlich gibt es da noch die Gamestops und AMCs, die mit dem Schlachtruf "to da moon" (zum Mond) in die Höhe gejubelt wurden, obwohl sie mit einem untergehenden Geschäftsmodell operieren. GameStop war von 4 auf 80 USD katapultiert worden und notiert aktuell noch immer bei 20 USD, schreibt Verluste und beklagt einen rückläufigen Umsatz. Auch hier ist die Bereinigung noch nicht zu Ende.
Amazon hat in der Coronakrise über 1 Millionen neue Arbeitskräfte eingestellt. Arbeitskräfte, die nun in anderen Branchen fehlen. Nun, wo das Sonderwachstum DURCH Corona bei den einen, und wo das Sonderwachstum NACH Corona bei den anderen wieder abflaut, fressen die vielen Mitarbeiter den Gewinn vieler Unternehmen auf. Wir werden in den kommenden Monaten Entlassungswellen erleben, mit denen sich Unternehmen an ein langsameres Wachstum anpassen.
Amazon, Apple, Alphabet, Microsoft, Meta und Tesla sind über 6 Billionen US-Dollar wert. Die Megakonzerne haben dieses Jahr 30% bis 60% an Wert verloren und der eine oder andere Megakonzern sieht schon wieder günstig aus. Doch die Notenbanken vernichten derzeit Kapital: Krypto, SPACs, IPOs, Cloud, Chips, SaaS, Immobilien, ... ich könnte noch beliebig fortfahren.
Mit welchem Geld können Anleger künftig Aktien kaufen? Nun, ich habe die Befürchtung, dass insbesondere institutionelle Anleger ihre Portfolios auf die neue Zeit anpassen müssen, mehr Dividendenaktien kaufen und mehr auf Fundamentaldaten achten. Doch um neue Titel zu kaufen, brauchen sie Cash, und das werden Sie aus den Megakonzernen holen und damit eine schnelle Erholung dieser Titel vermeiden. So, wie viele Bewertungen in den vergangenen Jahren nach oben eine Übertreibung erfuhren, so dürften viele Titel in den kommenden zwei Jahren eine Übertreibung nach unten erleben.
Seit Ende September haben wir eine Gegenbewegung im vorangegangenen Bärenmarkt gesehen. Dabei haben insbesondere diejenigen Aktien stark zugelegt, die zuvor stark ausverkauft wurden. Doch diese Aktien wurden ausverkauft, weil sie in einem Umfeld höherer Zinsen nicht mehr so gefragt sind. Im kommenden Jahr werden sich die fundamental günstigen Aktien sowie die Aktien mit soliden Dividenden in den Vordergrund spielen, während im Hintergrund Wachstumsaktien und Aktien mit hohen Bewertungen weiter unter Druck sein werden.
Dabei werden sich die verschiedenen Entwicklungen der beiden unterschiedlichen Bereiche im Jahresverlauf immer stärker voneinander trennen. Wir sind mit einem großen Teil unseres Portfolios frühzeitig in die neue Anlegerwelt eingestiegen und warten nun geduldig darauf, dass diese Aktien nicht mehr nur weniger verlieren als die Bereiche, die eine Bereinigung durchlaufen, sondern auch stärker ansteigen.
Soweit mal ein kleiner Ausblick auf das kommende Jahr. Einen ausführlichen Ausblick werde ich wie immer zum Jahreswechsel erstellen. Dabei werde ich zunächst das abgelaufene Jahr analysieren und unsere Transaktionen beurteilen sowie aus Fehlern Änderungen für unser Portfolio ableiten. Anschließend werde ich dann die Jahresumfrage auswerten und aus den gefundenen Hinweisen ableiten, wie wir uns konkret für das Jahr 2023 verhalten und positionieren werden.
Die beiden Notenbanksitzungen letzte Woche waren so ziemlich die letzten wichtigen Ereignisse. Nun bereiten sich die meisten auf Weihnachten und den Jahreswechsel vor. Was ich für die kommenden drei Wochen an den Aktienmärkten erwarte, schreibe ich für PLUS Abonnenten in Kapitel 04.
Seit 1998 verfolge ich mit Begeisterung die US- und europäischen Aktienmärkte. Ich schreibe nun wöchentlich für mehr als 25.000 Leser über die Hintergründe des Aktienmarktes und die Ursachen von Kursbewegungen. Meine Leser schätzen meinen neutralen, simplen und unterhaltsamen Stil. Als Privatanleger nutzen sie meine Einschätzungen und Anlageideen, um ihr Portfolio unabhängig zu optimieren.
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