Hier stelle ich Ihnen meine Interpretation der Jahresumfrage für das Jahr 2023 vor, die ich für das Handelsblatt erstellt habe. Sie lesen, welchen Börsenverlauf Anleger erwarten und welchen Themen und Branchen sie große Bedeutung beimessen.
In einigen Punkten hatten unsere Umfrageteilnehmer für 2022 Recht. Das Jahrestief wurde nämlich korrekt auf den September terminiert. Allerdings hielten die Umfrageteilnehmer vor einem Jahr Kurse unter 13.750 Punkten im DAX für ausgeschlossen. Tatsächlich notierte der DAX jedoch über die Hälfte des Jahres unter dem Niveau von 13.750 Punkten und erzielte sein Tief bei 11.975 Punkten, also um 13% niedriger als befürchtet.
Vor einem Jahr hatten Anleger die Inflationsthematik bereits auf dem Schirm. Corona-Verwerfungen und China-Spannungen wurden ebenfalls als brisant eingestuft. Unterschätzt wurde hingegen der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. Somit haben wir die große negative Überraschung, die für den schlechten Verlauf an den Finanzmärkten im Jahr 2022 verantwortlich ist, bereits gefunden:
Mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine hatte an den Finanzmärkten kaum jemand gerechnet. Wir hatten in unserer Interpretation vor einem Jahr genau dieses Szenario als die größte Gefahr für 2022 identifiziert.
Mit großer Skepsis gehen Anleger in das Jahr 2023, bevorzugen den sicheren Hafen der Edelmetalle und meiden den zinsanfälligen Immobilienmarkt. Gleichzeitig hoffen Sie jedoch auf eine deutliche Besserung der Konjunktur in der zweiten Jahreshälfte und wollen mit zyklischen Aktien an einer Kurserholung am Aktienmarkt partizipieren.
Für das Jahr 2023 erwarten unsere Umfrageteilnehmer das Jahrestief bereits im Februar oder März, rechnen sodann mit einem typischen Jahresverlauf mit einem Zwischenhoch im Mai, einem Zwischentief im September und dann neuen Höchstständen zum Jahresende.
Da die Börse der Wirtschaft um 6-9 Monate vorausläuft, ist ein Tief zum Jahresbeginn im Februar/ März schnell begründet. Wenn die Konjunktur dann im Q4 wieder erfreuliche Wachstumszahlen auswirft, so die Erwartung, dann stünde die Aktienbörse erfahrungsgemäß schon wieder deutlich höher.
Das Jahr 2023 birgt also viele Gefahren und entsprechend sind die Kursziele für den DAX deutlich pessimistischer als noch ein Jahr zuvor.
Durchschnittlich erwarten Anleger das DAX-Tief im Februar/ März bei 12.758 Punkten, also um 8% unter dem Jahresschlusskurs. Dabei geht die Mehrheit von einem Kursrutsch um mindestens 1% auf unter 13.750 Punkte aus. Kaum jemand rechnet mit einem Tief unter 11.650, also einem Minus von 16%.
Die Inflationsentwicklung und die Antwort der Geldpolitik darauf ist bereits vor einem Jahr im Bewusstsein der Anleger gewesen. Zu Recht, wir haben in den USA den schnellsten Zinsanhebungszyklus seit 40 Jahren gesehen.
Auch die Spannungen der westlichen Welt zu China sind kein Novum. Im Gegenteil - während man vor einem Jahr darin noch unlösbare Probleme sah, so sind inzwischen erste Denkansätze zu erkennen, wie man die Abhängigkeit von China reduzieren möchte.
Völlig unterschätzt wurde hingegen das Risiko eines Einmarschs Russlands in die Ukraine. Vor einem Jahr hielt das kaum jemand für denkbar.
Die Energiepolitik hat im Vergleich zum Vorjahr nur leicht an Bedeutung gewonnen. Damit haben Anleger einen wesentlich nüchterneren Blick auf die Ölmärkte, als es die in den Mainstream-Medien zu lesenden Artikel vermuten lassen.
Weitere Überraschungen könnten auch sein, dass der Ukraine-Krieg endet und/ oder die Inflation deutlicher zurückgeht als befürchtet.
Wachstumsaktien, die besten Performer der vergangenen Jahrzehnte, sind unbeliebt geworden. Stattdessen gewinnen defensive Dividendentitel und insbesondere zyklische Industrieaktien die Zuneigung der Anleger.
Vor einem Jahr hatten wir festgestellt, dass es Anlegern schwerfällt, sich von den in der Vergangenheit so erfolgreichen Wachstumstiteln zu trennen. Dieses Problem kam Anlegern im abgelaufenen Jahr 2022 teuer zu stehen. Doch der Wechsel ist vollzogen, nun konzentrieren sich Anleger auf die Konjunktur.
Doch auch diese neue Vorliebe birgt Gefahren, wie wir weiter oben bereits besprochen haben: Was, wenn die Konjunktur in der zweiten Jahreshälfte wider Erwarten nicht anzieht? Was, wenn sich der erwartete Wirtschaftsabschwung zu einer Rezession ausweitet und länger dauert als derzeit erhofft? Erneut würden Anleger mit zyklischen Aktien aus dem Bereich der Industrie, der Finanzen und der Chemie auf dem falschen Fuß erwischt.
Über Jahre galten Aktien als „alternativlos”. Zinsen waren niedrig oder gar negativ, für Rohstoffe wurde ein schlechtes Chance/ Risiko-Verhältnis errechnet. Und Immobilien waren zwar zum Geld Parken beliebt, galten aber bereits als zu teuer, um dort hohe Renditen zu erzielen.
Diese Wahrnehmung hat sich nun grundlegend verändert. Immobilien werden als Kapitalvernichter betrachtet, Aktien segeln nur im Mittelfeld der Anlegergunst und erstmals werden Zinspapiere für attraktiv befunden.
Edelmetallen wird für das Jahr 2023 die größte Kurschance zugesprochen. Das passt in die durchweg skeptische Haltung der Anleger, die von einem schwachen Jahresauftakt am Aktienmarkt ausgehen. Aber auch die anderen Rohstoffe aus dem Bereich der Nahrungsmittel und Industriemetalle gelten als aussichtsreich.
Bevor wir uns darum kümmern, was wir im Jahr 2023 tun möchten, müssen wir uns darüber im Klaren sein, was wir nicht tun dürfen. Ich habe eine Liste von Branchen und Bereichen erstellt, die ich im Jahr 2023 meiden möchte: https://www.heibel-ticker.de/heibel_tickers/2050#ch04
Bleibt nicht viel übrig, wenn wir uns die Liste von Branchen und Bereichen anschauen, die wir meiden sollten. Der einzige Sektor, der im vergangenen Jahr Gewinne abwarf, war der Energiesektor, insbesondere Ölaktien. Ich gehe davon aus, dass diese Titel auch im Jahr 2023 gut laufen werden. Wir haben uns gemeinsam auf die Suche nach guten Aktien aus dem Bereich der regenerativen Energien gemacht … und mussten feststellen, dass deren Bewertungen durchweg viel zu hoch waren. Ölaktien auf der anderen Seite sind unbeliebt und spottbillig.
Unsere Anlagestrategie 2023 und passende Aktien finden Sie unter https://www.heibel-ticker.de/heibel_tickers/2050#ch04
Seit 1998 verfolge ich mit Begeisterung die US- und europäischen Aktienmärkte. Ich schreibe nun wöchentlich für mehr als 25.000 Leser über die Hintergründe des Aktienmarktes und die Ursachen von Kursbewegungen. Meine Leser schätzen meinen neutralen, simplen und unterhaltsamen Stil. Als Privatanleger nutzen sie meine Einschätzungen und Anlageideen, um ihr Portfolio unabhängig zu optimieren.
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