Im neuen Kapitel 02 (Rückblick zu aktuellen Entwicklungen an Börse und Aktienmärkten) gehe ich auf einen Schwachpunkt der Volkswirtschaft ein, der in meinen Augen von vielen Übersehen wird: Die Stimmung der Menschen wird nicht ausreichend berücksichtigt. Vertrauen in ein Wirtschaftssystem ist wichtiger als die Geldpolitik, wenn es um eine Prognose für die Inflation geht. Die derzeitige Hysterie über die drohende Inflation halte ich daher für überzogen.
Der Begriff "Inflation" wird in den Finanzmedien seit Wochen rauf und runter diskutiert. Doch der wichtigste Begriff in meiner heute gewählten Überschrift ist ein anderer: "Vertrauen".
Vertrauen hat in der Volkswirtschaftslehre noch kaum Eingang gefunden, dabei ist genau das Vertrauen der entscheidende Faktor dafür, ob sich eine vorübergehende Inflation in eine galoppierende Inflation auswächst. Genauso bestimmt das Vertrauen, ob eine vorübergehende Deflation in eine tödliche Abwärtsspirale mündet.
Wenn wir also abschätzen möchten, wie groß die Gefahr ausufernder Inflationsraten ist, dann müssen wir abschätzen, wie das Vertrauen der Marktteilnehmer in die Märkte ist. Funktionieren die Märkte? Werden Angebot und Nachfrage in ein Gleichgewicht gebracht? Oder sind die freien Marktkräfte durch die Politik bereits so weit außer Kraft gesetzt, dass Ungleichgewichte bestehen bleiben?
Bevor wir über das Vertrauen sprechen, möchte ich Ihnen kurz erläutern, warum die Wissenschaft kaum auf diesen Begriff eingehen kann. Der Grund ist ganz einfach: Als Wissenschaft gilt nur das, was man beweisen oder widerlegen kann. Doch wie möchten Sie die Entwicklung des Vertrauens messen, geschweige denn prognostizieren?
Ich würde mal recht selbstsicher behaupten, dass meine Sentiment-Erhebung, die ich wöchentlich durchführe, dieses Problem am besten angeht. Aus der Anlegerstimmung können wir ablesen, wie die Marktteilnehmer zum Markt stehen, ob sie Vertrauen in das Finanzsystem und/oder die aktuellen Bewertungen haben, oder nicht. Ich weiß, dass ich mit meiner Umfrage seit Jahren überall, sowohl bei der Finanzpresse als auch bei institutionellen Anlegern, offene Türen vorfinde. Das Problem ist also bekannt.
Aber die Interpretation der Umfrageergebnisse ist dennoch eine Geschichte, bei der das Bauchgefühl mitspielt. Völlig unwissenschaftlich! Wissenschaft benötigt Fakten, am liebsten Zahlen oder am allerbesten Zahlenreihen, die dann linear extrapoliert werden können. Mehr dazu im kompletten Kapitel 02 meines aktuellen Börsenbriefs (frei zugänglich).
Letzte Woche wurden in den USA Zahlen zur Konsumentenpreisentwicklung (CPI sprich: Inflation) veröffentlicht. Der Preisanstieg gegenüber dem Vorjahr betrug durchschnittlich 5,0%. Das Ziel von 2% Inflation wurde also zumindest punktuell deutlich überschritten. Doch Notenbankchef Jay Powell betont, dass diese Inflation nur vorübergehend so hoch sei. Ich habe mal ein wenig ins Detail geschaut: Preistreiber sind die Preise von Gebrauchtwagen, Flugtickets und der Ölpreis. Auch hierzu finden Sie mehr in Kapitel 02 meiner aktuellen Heibel-Ticker Ausgabe 21/23.
Abschließend möchte ich noch auf einen weiteren Irrtum hinweisen, dem viele Redakteure in den Finanzmedien derzeit erliegen: Inflation wird als Folge einer exzessiven Geldpolitik der Notenbank betrachtet. Dass dies nicht so ist, habe ich lange Zeit durch die Erläuterung der "Umlaufgeschwindigkeit" veranschaulicht. Seit einigen Monaten habe ich auch die Modern Monetary Theory (MMT) ins Feld geführt, der zufolge die Notenbank ohnehin keine Kontrolle mehr hat, denn die Fiskalpolitik übernimmt zunehmend das Steuern von Angebot und Nachfrage.
In den USA gibt es nun ein gigantisches Förderprogramm für neue Chipproduktionsstätten. Die Politik ist der Ansicht, dass der freie Markt Abhängigkeiten erzeugt hat, die man nun nicht mehr tragen möchte.
Wenn ich also den Begriff "Vertrauen" als wesentlich wichtiger erachte als die Inflation, dann wissen Sie nun, warum: zum einen sind viele der Inflationstreiber nur vorübergehend, zum anderen vertrauen die Menschen der Politik, die sich derzeit der MMT bedient, um gewünschte Marktverhältnisse herbeizuführen.
Am Aktienmarkt scheint man mit dieser komplexen Situation derzeit nicht viel anzufangen. Der DAX notiert auf Allzeithoch, doch für weitere Kursgewinne fehlt die Überzeugung.
Seit 1998 verfolge ich mit Begeisterung die US- und europäischen Aktienmärkte. Ich schreibe nun wöchentlich für mehr als 25.000 Leser über die Hintergründe des Aktienmarktes und die Ursachen von Kursbewegungen. Meine Leser schätzen meinen neutralen, simplen und unterhaltsamen Stil. Als Privatanleger nutzen sie meine Einschätzungen und Anlageideen, um ihr Portfolio unabhängig zu optimieren.
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